Aufklärung ist wichtig – Angstmache kontraproduktiv

Eltern müssen Kinder über die Risiken in Chat und auf Social Media informieren. „Leider“ geht das nicht ohne dass wir uns dafür einige Zeit nehmen. Der passende Ton und eine fürsorgliche Auseinandersetzung sind nämlich extrem wichtig. Wenn wir bloss schnell warnen, dabei „sicherheitshalber“ noch etwas übertreiben, so kann dies bei Kindern zu schlaflosen Nächten führen.

Entsetzliche Angst!

2014 haben wir bei zischtig.ch mit rund 500 Primarschulklassen gearbeitet. In den Gesprächen mit den Kindern sind uns immer öfter heftige Schauergeschichten begegnet: „Wenn du ein Bild im Internet hast, dann wirst du entführt, vergewaltigt und getötet.“ Kein Wunder, dass es Kinder gibt, die entsetzliche Angst haben online zu gehen. Die schlaflose Nächte verbringen weil ein Bild von der Schulreise im Internet gelandet ist. Dies, obwohl das keine Folgen haben wird.

 

Paranoia?

Sobald Kinder an Tablets, iPods, Handys oder Laptops kommen, müssen sie über die Risiken des Internets aufgeklärt werden. Erwähnte Umstände zeigen aber deutlich: Leider nehmen sich viele Eltern keine Zeit um wirklich aufzuklären. Es wird kurz und heftig gewarnt. Punkt. Und das Kind hat Angst. Ich habe den Eindruck, dass wir so zu einer paranoiden Gesellschaft werden, was auch unser tägliches Zusammenleben beeinträchtigen wird.
Wie sehr das in unseren Alltag eingreift wurde mir neulich wieder bewusst. Als wir mit dem Patenkind in einer Papeterie einen Schreiber ausprobierten, schrieb die Patin den Namen des Kindes in Schnörkeln auf ein Papier. Die Reaktion: „Gotti, das darfst du nicht! Nicht öffentlich! Das ist gefährlich!“ Von einem befreundeten Jugendarbeiter habe ich erfahren, dass er ein Bild von einer Webseite nehmen musste, weil „der Ellenbogen“ eines Mädchens noch drauf war. Wenn man den Kindern zuhört, so scheint das Internet ausschliesslich von bösen Menschen bevölkert. Und hinter jeder Ecke lauert ein Vergewaltiger (Red: Die meisten sexuellen Übergriffe werden von Bekannten oder Familienmitgliedern verübt. >> mehr dazu in der „Schweiz am Sonntag“).

 

Ursachen?

Natürlich tragen die täglichen Warnungen in den Medien nicht eben zu einem entspannten Klima bei. Dennoch ist das Kernproblem wohl ein altes. Kinder zu sicheren und gesunden Verhaltensweisen anzuleiten erfordert Zeit. Und wenn wir Eltern die mal nicht haben, so tendieren wir zu vereinfachten oder heftigen Aussagen und zur Androhung harter Konsequenzen. Sie können sich sicher an die Aussage erinnern, wonach stundenlanges Fernsehen viereckige Augen geben soll. Aufklärung braucht Zeit und Sachlichkeit.

 

Tipps!

Kinder brauchen vor dem Internet keine Angst zu haben. Schliesslich sind mit dem Web auch Chancen verbunden. Wie soll also eine gute Aufklärung aussehen? Fünf Tipps:

  1. Zeit: Ein Aufklärungsgespräch um die Risiken digitaler Medien braucht Zeit. Mit jeder Information, die wir den Kindern geben kommen beim Kind weitere Fragen auf. Planen Sie mindestens 30 Minuten ein. Warnungen zwischen Tür und Angel gelingen niemandem.
  2. Sachlichkeit: Bleiben Sie auf jeden Fall sachlich. Übertreibungen führen zu Angst und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Solche Sätze sind hilfreicher: „Mami und Papi brauchen das Internet, weil es sehr praktisch ist. Dabei mussten wir lernen, dass man an Internetseiten, Chat- oder Spielpartner gelangen kann, die nichts Gutes im Sinn haben. Das kommt selten vor. Aber ich will, dass du solche Situationen auch erkennst und dich schützen kannst. …“
  3. Konkret werden: Geben Sie den Kindern realistische und gut ausformulierte Tipps. Es ist beispielsweise sinnlos, zu erwarten, dass das Kind im Internet nicht mit Fremden in Kontakt kommt. Auf Clash of Clans beispielsweise kommt man fast zwangsläufig mit Fremden in Kontakt. Kinder sollen wissen, was es heisst, in dieser Situation nichts „Persönliches“ von sich preiszugeben. Wir müssen das ausformulieren: Keine Angaben zum Wohnort oder zur Herkunftsregion, keine Angaben über andere Kontaktmöglichkeiten (kik, Skype, Snapchat, etc.), keine Angaben über Hobbys, keine Angaben über Geschwister etc.
  4. Sich unaufgeregt anbieten: Ein sachlicher Ton und eine sorgfältige Aufklärung schaffen eine gute Basis für die Überwindung von Schwierigkeiten. Laden Sie das Kind immer wieder ein, bei Schwierigkeiten auf eine Erwachsene Person zuzugehen. Schwierigkeiten im Umgang mit dem Netz werden kommen. Kinder müssen wissen, dass sie sich an Erwachsene wenden können ohne dabei ein Internet- oder Smartphone-Verbot auf ewig zu riskieren.
  5. Dran bleiben: Nehmen Sie das Thema immer wieder mal auf. Erstens, weil eine gewisse Wiederholung wichtig ist,  zweitens um zu prüfen, ob die Kinder nicht verängstig sind. Sollte dies nämlich der Fall sein, müsste die Information so wiederholt werden, dass die Kinder wieder etwas Angst verlieren. Denn wie gesagt: Angst ist ein schlechter Ratgeber.

PS: Prof. Dr. Uwe Hasebrink sagte schon 2013  „… je restriktiver Jugendliche sich bewegen, desto weniger Risiken gehen sie ein, aber desto geringer ist auch ihre Medienkompetenz.“ Quelle: http://www.jugendundmedien.ch/de/fachforum2013.html#sthash.ajIlGubv.dpuf

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